Die Landwirtschaft nach 1945

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer umfassenden Mechanisierung und Motorisierung der Landwirtschaft, die auch die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe tiefgreifend veränderte. Dieser Mechanisierungsprozeß wurde von den hiesigen Bauern miterlebt und mitgestaltet. Ihre Berichte über die Motorisierung ihrer Höfe sind repräsentativ für die Region und für weite Teile Westfalens und Niedersachsens und werden daher in der folgenden Darstellung immer wieder einbezogen.

In den Jahren unmittelbar nach dem Krieg bestand aufgrund der Eingliederung der Flüchtlinge und der besseren Lebensbedingungen auf dem Land kein Mangel an Arbeitskräften. Mit dem überraschend schnellen Aufschwung der Industrie setzte jedoch auch die Abwanderung vom Land wieder ein. Sie betraf nicht nur die wegen der Kriegsfolgen vorübergehend auf den Land gebliebenen Flüchtlinge und die besitzlosen Landarbeiter, sondern auch die Gruppe der Kleinbauern und Heuerlinge.

Das Heuerlingssystem

Wie im übrigen Westfalen und in Niedersachsen war im Kreis Tecklenburg das Heuerlingswesen sehr verbreitet; hier war hauptsächlich die Form des Industrieheuerlings vertreten. Diese bewohnten zwar noch ein Heuerhaus, hatten aber nur noch eine geringe landwirtschaftliche Arbeitsverpflichtung, die zudem häufig von Familienangehörigen abgeleistet wurde. Auch die selbst bewirtschaftete Fläche war meist klein, ihren Lebensunterhalt verdienten die Industrieheuerlinge im Bergbau, in nahegelegenen Industriebetrieben oder im Handwerk.

In den 50er Jahren wurde das Heuerlingssystem vorübergehend noch einmal aktuell. Die Mechanisierung der Bauernhöfe war noch nicht so weit fortgeschritten, daß man auf familienfremde Arbeitskräfte völlig verzichten konnte. Die Vorteile des Heuerlingssystems, das während der arbeitsintensiven Zeiten zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung stellte, die in der arbeitsfreien Zeit nicht bezahlt werden mußten, lagen aber überwiegend auf Seiten der Bauern. Für die Heuerlinge überstiegen die in der Industrie gezahlten Löhne bald die Vorteile einer preiswerten Wohnung und den geringfügigen Nebenerwerb; die meisten Pachtstellen wurden in Mietverträge umgewandelt. Im Verlauf der 50er Jahre verschwand das Heuerlingswesen vollständig und konnte auch durch Versuche, den unsicheren rechtlichen Status der Heuerlinge zu verbessern, nicht mehr erhalten werden.

Im Kreis Tecklenburg ging die Zahl der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen von 22.068 im Jahre 1939 auf 14.292 im Jahre 1960 zurück. Der Typ des familienfremden, lohnabhängigen Landarbeiters verschwand nahezu vollständig. In dieser Zeit erfolgte in den meisten Betrieben der Übergang zu reinen Familienbetrieben.

Die ersten Schlepper in Westerkappeln

Die Abwanderung günstiger Saisonarbeitskräfte mußte von den Bauern durch verstärkte Mechanisierung ausgeglichen werden, wobei der Anschaffung eines Schleppers die größte Bedeutung zukam.

Begründet wurde der Kauf des ersten Schleppers nicht nur mit der Notwendigkeit, Arbeitskraft zu ersetzen, sondern ebensosehr mit dem Wunsch, sich die Arbeit zu erleichtern. Vierzig Kilometer hinter einem gespanngezogenen Pflug herzulaufen oder die gleiche Strecke auf einem Schlepper sitzend zu verbringen, bedeutete einen Unterschied hinsichtlich der Arbeitsbelastung, auch wenn die Schlepper damals noch wenig komfortabel waren.

Außerdem lag der Übergang zur motorisierten Antriebskraft damals im "Trend der Zeit", wie es einer der Befragten formulierte. Damalige Agrarwissenschaftler und landwirtschaftliche Berater argwöhnten sogar, daß gelegentlich der Schlepper nicht aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern wegen des damit verbundenen Sozialprestiges angeschafft wurde. "Der Zusammenhang zwischen Schlepper und Sozialprestige war so mächtig, daß in nicht wenigen Fällen der Sohn dem Vater drohte, entweder werde ein Schlepper gekauft oder er verlasse den Hof".


Ernteeinsatz in Westerkappeln

In den ersten Nachkriegsjahren kalkulierten die landwirtschaftlichen Fachleute in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des Schleppers ähnlich wie vor dem Krieg. Je nachdem, ob der Grünland- oder der Ackeranteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche überwog, wurde für 10-19 ha Betriebsgröße ein 11 PS-Schlepper, für 14-30 ha ein 15 PS-Schlepper und für 22-50 ha ein 20-25 PS-Schlepper empfohlen.

Einer Umfrage in Westerkappeln zufolge hielten sich die Bauern an diese Kalkulation. Der erste Schlepper auf den ca. 20 bis 40 ha großen Betrieben hatte meist zwischen 15 und 25 PS und ersetzte ein Pferdegespann. Mit dem Schlepper wurden die meisten Feldarbeiten durchgeführt, nur für Pflegearbeiten wurde häufig noch ein Pferdegespann gehalten. Grund dafür war die Befürchtung, daß der Schlepper den Boden zu sehr verdichten könnte. Die Geräte, Pflüge, Eggen, Walzen, u. a. wurden häufig für den Schlepperbetrieb umgerüstet und weiterbenutzt, bis man sich speziell für den Schlepperbetrieb geeignete Geräte leisten konnte. Oder es wurden gemeinsam mit Nachbarn Geräte angeschafft, die nicht so häufig eingesetzt wurden. Eine solche Gemeinschaftsanschaffung war allerdings beim Schlepper selbst nicht möglich, da er ständig gebraucht wurde.

Der Übergang zur Vollmotorisierung

Es stellte sich bald heraus, daß die landwirtschaftlichen Fachleute die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung unterschätzt hatten. Die Absicht, die landwirtschaftlichen Maschinen an die vorhandene bäuerliche Betriebsstruktur anzupassen, die in der Entwicklung des Kleinschleppers zum Ausdruck kam, erwies sich sehr schnell als überholt.

Seit den 50er Jahren erfolgte in zunehmendem Maß die Anpassung von Betriebsstruktur und -größe an die Erfordernisse der Mechanisierung. Gleichzeitig zwang die gesamtwirtschaftliche Entwicklung die Landwirtschaft zu einer rationelleren Betriebsführung.

Durch die intensivere Bodenbewirtschaftung wurden in der Landwirtschaft erhebliche Ertragssteigerungen erzielt. In der westfälischen Landwirtschaft betrug der Produktivitätsfortschritt (das ist der Ertrag der eingesetzten Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden) zwischen 1950 und 1959 66%, zwischen 1960 und 1968 waren es 62%. Die Produktivitätssteigerung, der keine entsprechende Nachfragezunahme gegenüberstand, erzeugte trotz preisstabilisierender Maßnahmen einen zunehmenden Preisdruck, der nur durch weiteres Produktionswachstum ausgeglichen werden konnte.

Um rentabel produzieren zu könne, mußten immer größere Flächen bestellt werden. Einen wesentlichen Anteil an der Schaffung lohnender Flächengrößen hatten die Flurbereinigungsmaßnahmen, die dafür sorgten, daß zersplitterter und unwirtschaftlicher Landbesitz umgelegt und zu rationellen Ackerflächen zusammengefaßt wurde.

Außerdem nahm die durchschnittliche Betriebsgröße kontinuierlich zu, während die Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland von 1.646.800 im Jahre 1949 auf 904.700 im Jahre 1975 sank. Dabei muß differenziert werden zwischen Betrieben in der Größenordnung von 1-10 ha, deren Zahl besonders stark zurückging, während bei Betrieben über 15 ha noch bis in die 70er Jahre eine Zunahme zu verzeichnen war. Die Größenordnung, ab der Vollerwerbsbetriebe unrentabel wurden und in Nebenerwerbsbetriebe umgewandelt oder ganz aufgegeben wurden, verschob sich seither weiter nach oben.

Auch die Situation der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte wirkte in Richtung Betriebsvergrößerung. Da in der Regel nur der Betriebsleiter und seine Familie als Arbeitskräfte zur Verfügung standen, mußten für alle anfallenden Arbeiten Maschinen angeschafft werden, deren schlechte Ausnutzungsgrad aufgrund der geringen Anzahl an Arbeitsstunden durch die Größe der bearbeitenden Fläche wenigstens einigermaßen ausgeglichen werden mußte.

Betriebswirtschaftliche Überlegungen führten außerdem zu einer fortschreitenden Spezialisierung der bäuerlichen Betriebe. Der klein- und mittelbäuerliche Gemischtbetrieb, für den der universale Kleinschlepper konzipiert worden war, wandelte sich zum spezialisierten Großbetrieb. Die Bestellung großer Anbauflächen und die Verwendung von Erntemaschinen mit hohem Kraftaufwand überforderten die Leistungsfähigkeit der Kleinschlepper. Auf manchen Höfen mußte schon bald nach dem Erwerb des ersten ein zweiter, leistungsfähiger Traktor angeschafft werden.

Auf breiter Basis erfolgte der zweite Motorisierungsschub in den 60er Jahren. Seit dieser Zeit wird von der Vollmotorisierung der Feldwirtschaft gesprochen, d. h., daß sämtliche Bestellungs-, Saat-, Ernte- und Pflegearbeiten ausschließlich maschinell erledigt werden.

In den meisten Betrieben wurde ein zusätzlicher Schlepper gekauft, der über eine größere Leistungsstärke, eine Vorrichtung für die hydraulische Aushebung der Anbaugeräte und einen Frontlader verfügte. Als besonderer Grund für die Kaufentscheidung wurde sehr häufig die Arbeitserleichterung durch den Frontlader erwähnt, der dem Bauern u. a. die anstrengende Arbeit des Mistaufladens abnahm, für die bislang immer noch Helfer notwendig gewesen waren.


Mistaufladen mit dem Frontlader

Die Kombination des Hanomag mit Frontlader und des Lanz-Bauern-Bulldog mit angehängtem Miststreuer stellt eine typische Arbeitssituation dar, deren rein mechanische Bewältigung von den Bauern als erheblicher Fortschritt empfunden wurde. Nicht nur das Aufladen, sondern auch das Ausbringen von Mist war schwerste Handarbeit. Zum Mistfahren waren immer mindestens zwei Personen notwendig: der Schlepperfahrer und derjenige, der den Mist vom Wagen herunter auf das Feld streute.

Mit der Einführung des Miststreuers, bei dem eine Fördereinrichtung den Mist ans Ende des Ladewagens transportierte, wo er von einem Streuwerk erfaßt und fein verteilt vom Wagen geschleudert wurde, konnte auch diese Arbeit im Einmannbetrieb bewältigt werden.

 

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